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Anfechtungsmöglichkeit bei „lenkenden Erbausschlagungen“

Bei dem Schlagwort „Erbausschlagung“ denkt man gewöhnlich an die Ausschlagung überschuldeter Nachlässe. Tatsächlich wird die Erbausschlagung aber immer wieder auch als Mittel dazu verwendet, um nach dem Erbfall einen werthaltigen Nachlass in eine andere Richtung zu lenken. Wegen der regelmäßig nur kurz bemessenen Ausschlagungsfrist von sechs Wochen darf dies nicht überhastet geschehen, damit es nicht zu ungewollten Folgen kommt.

1. Gründe für eine Umverteilung des Erbes durch Erbausschlagung

Schlägt der Erbe die Erbschaft aus, gilt gemäß § 1953 Abs. 1 BGB der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt. Die Erbschaft fällt gemäß § 1953 Abs. 2 BGB demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte; der Anfall an den Nächstberufenen gilt als mit dem Erbfall erfolgt. Das Gesetz lässt es aufgrund dieser Regelungen zu, eine durch ein unzweckmäßiges Testament oder den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge verursachte ungünstige Nachlassverteilung nach Eintritt des Erbfalls so zu korrigieren, als ob sie es nie gegeben hätte. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG wird eine derartige rückwirkende Korrektur auch erbschaftsteuerlich anerkannt, so dass ein steuerpflichtiger Zwischenerwerb des Ausschlagenden nicht gegeben ist. Damit sind es folglich auch erbschaftsteuerliche Gründe, die Erben dazu bewegen, bei einem werthaltigen Erbe durch eine „lenkende Ausschlagung“ eine ungünstige Nachlassverteilung nachträglich zu beseitigen.

Oftmals ist es aber auch einfach so, dass die Kinder dem überlebenden Elternteil bei gesetzlicher Erbfolge den ganzen Nachlass gönnen.

2. Risiken der lenkenden Ausschlagung

Es kann also sinnvoll sein, durch einseitige Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht den Nachlass ohne Zwischenerwerb direkt in die gewünschte Richtung zu lenken. Hierbei besteht das Risiko, dass der Ausschlagende drüber irrt, an wen der Nachlass infolge seiner Ausschlagung fällt.

Ein regelmäßig auftretender Fall ist der des Berliner Testamentes, in dem sich Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben. In derartigen Fällen werden beim Tod des erstversterbenden Elternteils die erbschaftsteuerlichen Freibeträge der Kinder (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) nicht genutzt und beim Tode des Längstlebenden geht darüber hinaus das gesamte ungeschmälerte Vermögen beider Ehegatten auf einmal auf die Kinder über, was erneut erbschaftsteuerlich nachteilig ist. Um dies zu vermeiden, versucht man auf die Regelung des § 1948 Abs. 1 BGB zurückzugreifen, nach der der überlebende Ehegatte die Erbschaft als testamentarischer Erbe ausschlagen und gleichzeitig als gesetzlicher Erbe annehmen kann. Würde dies zu dem Ergebnis führen, dass der überlebende Ehegatte bei gesetzlichem Güterstand neben den Kindern nur zur Hälfte erbt und die Kinder die andere Hälfte zu gleichen Teilen, wäre der Nachlass erbschaftsteuerlich günstiger verteilt und die erbschaftsteuerlichen Freibeträge der Kinder könnten bereits beim ersten Erbfall genutzt werden.

Oft führt aber die Ausschlagung des überlebenden Ehepartners gerade nicht zum gewünschten Ergebnis des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge. Denn nach § 1948 Abs. 1 BGB ist Voraussetzung, dass der von Todes wegen Berufene ohne die fragliche „Verfügung“ als gesetzlicher Erbe berufen wäre. Dabei ist mit dem Wort „Verfügung“ ausschließlich diejenige konkrete Verfügung gemeint, welche die Einsetzung des Ausschlagenden zum Inhalt hat, nicht die letztwillige Verfügung als Ganzes. Die Voraussetzungen des § 1948 BGB sind mithin nur dann erfüllt, wenn der Ausschlagende bei Wegfall der ihn einsetzenden Verfügung und Bestehenbleiben aller anderer die Erbfolge betreffender Verfügungen kraft Gesetz Erbe wäre. Sieht das Testament für den Fall des Wegfalls des Ausschlagenden ausdrücklich einen Ersatzerben vor oder ist ein Fall der vermuteten Ersatzerbschaft gegeben, geht die Annahme der Erbschaft als gesetzlicher Erbe ins Leere!

Nach der herrschenden Meinung führt beim Berliner Testament die Ausschlagung durch den überlebenden Ehegatten im Zweifel nicht zur gesetzlichen Erbfolge, sondern zum vollständigen Anfall der Erbschaft an die Kinder. Die gesetzliche Erbfolge würde nur dann eintreten, wenn zusätzlich auch die Kinder und außerdem deren gemäß der Auslegungsregel des § 2069 BGB zumindest stillschweigend eingesetzten Abkömmlinge ihre gewillkürte Erbenstellung ausschlagen. Geschieht dies nicht, kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass der Elternteil, der als gewillkürter testamentarischer Erbe ausschlägt und als gesetzlicher Erbe annehmen möchte, tatsächlich überhaupt nicht Erbe wird.

Aber auch in anderen Fällen kommt es durch eine „lenkende Ausschlagung“ zu ungewollten Ergebnissen. Kinder schlagen bei gesetzlicher Erbfolge immer wieder die Erbschaft aus, um dem überlebenden Elternteil eine Alleinerbenstellung zu ermöglichen. Dabei wird nicht selten übersehen, dass durch die Ausschlagung die Erbschaft demjenigen anfällt, der berufen wäre, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte. Die Erbfolge wird also so behandelt, als ob der Verstorbene keine Abkömmlinge hinterlassen hätte. Bei im gesetzlichen Güterstand verheirateten kinderlosen Ehegatten erben dann aber die Erben 2. Ordnung (Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge) noch zu ¼ mit, im Falle einer Gütertrennung sogar zu ½. Hieraus folgt, dass mit dem Wegfall der Abkömmlinge durch die erklärte Ausschlagung nicht der überlebende Ehegatte Alleinerbe wird, wenn noch Geschwister des Erblassers oder deren Abkömmlinge vorhanden sind, die dann als Erben 2. Ordnung zu einem erheblichen Anteil Miterben sind. Anstelle des gewünschten Ergebnisses, dass der überlebende Elternteil Alleinerbe wird, ist Folge der Ausschlagung durch die Kinder, dass neben dem überlebenden Elternteil nun auch Onkel und Tanten sowie Vettern und Cousinen nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erben.

3. Möglichkeit einer Korrektur unerwünschter Ergebnisse durch Anfechtung?

Mit einer viel beachteten Entscheidung vom 22. März 2023 hat der Bundesgerichtshof die Frage geklärt, ob eine „lenkende Ausschlagung“ durch eine Irrtumsanfechtung rückgängig gemacht werden kann. Diese Frage war bislang umstritten. In seiner Entscheidung (IV ZB 12/22) hat sich der BGH der Meinung angeschlossen, nach der der Irrtum über die konkrete Person des Nächstberufenen bei einer Erbausschlagung einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellt. Irrt der Ausschlagende also darüber, wer infolge seiner Ausschlagung Erbe ist, ist dies kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum.

Damit ist die bislang umstrittene Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt, so dass derjenige, der sich in der Praxis über die Folgen seiner Ausschlagung irrt, die Ausschlagung nicht mit Erfolg durch eine Anfechtung beseitigen kann.

4. Fazit

Durch die Gefahr einer Fehlbeurteilung der durch eine „lenkende Ausschlagung“ eintretenden weiteren Erbfolge ist diese mit erheblichen Risiken behaftet. Führt eine derartige Ausschlagung nicht zu der vom Ausschlagenden gewünschten weiteren Erbfolge, kann die Ausschlagung durch eine Anfechtung nicht mit Erfolg rückgängig machen. Umso wichtiger ist es, die Folgen einer Ausschlagung sorgfältig zu prüfen.